Vor sieben Wochen ging es los - mit zwei Paukenschlägen. Roland Kochs Ankündigung seines Rückzugs dürfte noch breite Zustimmung in der Bevölkerung gefunden haben und konnte auch die Lenaseligkeit nicht trüben. Als aber nur wenige Tage später auch noch der Bundespräsident Horst Köhler sein Amt als Reaktion auf Kritik an seinen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr regelrecht beleidigt hinwarf, war Lena trotz ihres Sieges beim Eurovision Song Contest zum Vorteil aller (einschließlich ihrer selbst) zunächst erst einmal kein Thema mehr.
Dabei ging es munter weiter: Ende Juni kündigte Jürgen Rüttgers seinen Rückzug aus der Politik an, nachdem er Anfang Mai die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren hatte. Und nun auch noch Ole von Beust. Dies kann man als Vorwegnahme auf das mögliche (und mittlerweile gewisse) Scheitern der Schulreform sehen. Aber damit hängt laut von Beust der Rücktritt natürlich nicht zusammen. Ach ja, Dieter Althaus ist ebenfalls zurückgetreten und Günther Oettinger wurde nach Europa weggelobt. Eine zufällige Anhäufung von Amtsmüdigkeit? Oder doch Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit? Um das zu ergründen, muss man auf die letzten Jahre zurückblicken.
Schon in der großen Koalition fehlte jegliches Konzept für eine vernünftige Politik. Zum einen hat insbesondere in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode die Weltwirtschaftskrise nicht viel mehr als Reagieren zugelassen. Zum anderen haben damals zwei Koalitionspartner regiert, die nicht wirklich zusammen gepasst haben. Deswegen wurde die große Koalition auch sang- und klanglos abgewählt.
So richtig traurig wird es aber erst mit der Wunschkoalition der idealen Partner von CDU, CSU und FDP. Schon bei den Kaolitionsverhandlungen krachte es gewaltig. Die entscheidenden programmatischen Punkte werden ausgespart. Um so schlimmer die Streitereien seitdem - die bis heute anhalten. Seien es die Verteidigung (Wehrpflicht oder nicht), die Gesundheit (Kopfpauschale oder nicht) oder die Steuern (mehr Netto vom Brutto).
Oder wie sieht es mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise aus? Wollte man nicht die nächste Krise verhindern, die Finanzmärkte regulieren? Wenigstens bei diesem Thema muss man sich doch auf eine gemeinsame Linie einigen können. Herausgekommen ist das "sozial ausgewogene" Sparpaket. So schnell wie es die ersten Gegenstimmen gab, konnte man "sozial ausgewogen" nicht einmal aussprechen. Die Koalition ist sich selbst die beste Opposition.
Das schlimmste ist, dass nicht erkennbar ist, wo die Koalition hinmöchte. Es gibt kein Konzept, keinen Plan - von einer Umsetzung braucht man gar nicht zu reden. Barack Obama schafft es gegen erhebliche Widerstände auch in der eigenen Partei eine Gesundheitsreform und eine Finanzreform durchzusetzen. Und Angela Merkel? Sie lässt jegliche Debatten laufen. Und am Ende wird das Schlechteste von allen zusammen gerührt, so dass niemand sein Gesicht verlieren muss.
Selten war die Politik so konzeptlos, aussichtslos und demotivierend. Kein Wunder, dass alle Reißaus nehmen. Dass es auch ganz anders geht, hat Joachim Gauck bewiesen. Er hat den Vorteil sich nicht in der Tagespolitik beweisen zu müssen. Davon einmal abgesehen hat er es geschafft die Leute wieder für Politik zu interessieren, sie mitzureißen - und das fast unabhängig vom politischen Spektrum.
Womit wir wieder beim Bundespräsidenten wären - und der allgemeinen Unzufriedenheit. In die Bundesversammlung wurden dieses Mal zumindest von der Regierungskoalition überwiegend Politiker entsandt und weniger Prominente - sei es aus Zeitnot für die Nominierungen oder eben doch wegen der erwarteten schwierigen Abstimmung. Und trotz der Vorauswahl haben viele die geheime Wahl genutzt, der Regierungskoalition einen Denkzettel auszuteilen, indem sie deren Kandidat Christian Wulff drei Runden drehen ließen. Eines hatte er Joachim Gauck immerhin schon vor der Wahl voraus: Er durfte Lena bei ihrer Ankunft in Hannover nach dem Sieg des Eurovision Song Contests die Hand schütteln.
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