14 February, 2010

Deutschland. Ein Wintermärchen.

100 Tage Schonfrist werden üblicherweise einer neuen Regierung zur Eingewöhnung und Einarbeitung gewährt. Von der aktuellen Schwarz-Gelben Regierung hieß es allerdings bereits im Vorfeld, dass die soziale Kälte Einzug halten wird in Deutschland. Dabei wurde die SPD gerade wegen des vermeintlichen Verrats an der Stammwählerschaft - Stichwort Hartz IV - aus der Regierung gewählt.

Doch wie sieht es nun aus nach 100 Tagen Schwarz-Gelb? Deutschland steckt fest in seinem Wintermärchen. Es ist der wohl strengste Winter seit 30 Jahren. Dabei verteilt die Regierung Geschenke, dass einem warm ums Herz werden müsste. Während es letztes Jahr noch die Autofahrer waren, sind nun die Familien dran: 20 Euro mehr Kindergeld im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Gut, den Hartz-IV-Empfängern wird dieses Geld an anderer Stelle wieder abgezogen. Aber dafür bekommen die Besserverdiener über den Kinderfreibetrag dann ein wenig mehr. Die Folgen werden dabei ähnlich drastisch sein wie die der Abwrackprämie: Da den Kommunen aufgrund der Wirtschaftskrise sowieso schon die Einnahmen aus der Gewerbesteuer fehlen, werden aufgrund dieser zusätzlichen Einnahmeausfälle und Ausgaben etliche kulturelle Einrichtungen die Preise erhöhen oder gleich ganz schließen müssen. Natürlich gibt es auch viele hausgemachte Probleme der Kommunen, doch dieses Gesetz verschärft die Probleme vollkommen unnötig - und die Folgen werden alle Bürger tragen.

Der zweite vieldiskutierte Punkt des Gesetzes ist die Mehrwertsteuerreduzierung für Übernachtungen. Wurde dies zuvor schon als unsinnig erachtet, so begannen die Diskussionen erst richtig, als bekannt wurde, dass CSU und FDP Millionenspenden der Hoteliers kassierten. Man darf es sich nicht so einfach machen und behaupten, die Politik wäre käuflich. Aber gerade die kleinen Parteien müssen den Begehren ihrer Wählergruppen entgegenkommen (kostenpflichtig), um in einer Koalition erkennbar zu bleiben. Dabei hätten nicht erst die Spenden für einen Aufschrei sorgen sollen, sondern schon allein die Tatsache, dass sich die CDU und insbesondere Angela Merkel von ihren kleinen Koalitionspartnern treiben lassen - Führungsschwäche nennt man das. Ganz zu schweigen davon, dass die FDP all ihre finanzpolitische Vernunft eines ausgeglichenen Staatshaushalts und einer Vereinfachung des Steuerrechts über Bord wirft und stattdessen weitere Ausnahmeregelungen und höhere Staatsschulden für die Bedienung ihrer Klientel in Kauf nimmt.

Und sonst? Nichts Genaues weiß man nicht - jedenfalls nicht vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Statt eine klare Linie vorzugeben, darf der Umweltminister Röttgen aus Wahlkampfgründen sogar den geplanten Ausstieg aus dem Atomausstieg wieder in Frage stellen. Ansonsten muss man aber davon ausgehen, dass auch andere Lobbygruppen noch von der Schwarz-Gelben Regierung berücksichtigt werden, seien es Vermieter, Apotheker, die privaten Krankenkassen oder die Pharmaindustrie. Schließlich muss sich Leistung wieder lohnen!

Wer die ganzen Geschenke bezahlen soll, wird also noch nicht bekanntgegeben. Guido Westerwelle hat aber am Beispiel einer Kellnerin mit zwei Kindern schon einmal einen ersten Vorgeschmack gegeben:
Diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leistungsgedanken besorgt mich zutiefst. Die Missachtung der Mitte hat System, und sie ist brandgefährlich. Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.

Sehr schön! Endlich werden die dekadenten Eliten zur Rechenschaft gezogen! Die Banker müssen ihre Millionenboni zurückzahlen und die Steuerflüchtlinge dürfen ihr Geld gleich auf den Marktplätzen der Republik verteilen - am besten direkt an die Kellnerin. Doch weit gefehlt! Statt auf die da oben zu schimpfen, soll die Kellnerin nach unten treten. Welche Dekadenz ausgerechnet bei Hartz-IV-Empfängern vorherrschen soll, weiß auch nur Westerwelle allein. Stattdessen stellt sich doch die Frage, was man Hartz-IV-Empfängern außer Geld und Würde noch nehmen soll.

Hartz IV war ein notwendiges Gesetz, wenn auch schlecht und teilweise verfassungswidrig umgesetzt. Nur hat dieses und andere Gesetze eben auch zu einem Ausbau des Niedriglohnsektors geführt. Aus der finanziellen Annäherung zwischen Arbeitnehmern und Sozialleistungsempfängern zu schließen, dass man den Zugang zu Sozialleistungen noch stärker einschränken müsse, ist vermessen - oder ein Kotau vor der Wirtschaft. Wie wäre es stattdessen mit der Einschränkung von Lohndumping? Mit der Auslagerung von Arbeitnehmern an Zeitarbeitsfirmen werden weder Arbeitsplätze noch die internationale Konkurrenzfähigkeit gesichert, sondern nur die Kaufkraft der Arbeitnehmer reduziert oder sogar die Sozialkassen belastet.

Ja, Leistung muss sich wieder lohnen! Wer arbeiten geht, sollte nur in Ausnahmefällen auf Hartz IV angewiesen sein müssen. Schon deswegen muss der gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden. Fast alle europäischen Staaten leisten sich diesen "Luxus".

Den Empfängern von Sozialleistungen ist nicht mit Generalverurteilung und Stigmatisierung geholfen. Die meisten haben sich ihre Situation nicht ausgesucht und würden diese auch gern wieder ändern. Zwar wird es immer auch Negativbeispiele geben, doch diese kann sich ein wohlhabendes Land wie Deutschland leisten. Mit geistiger Brandstiftung erzeugt man jedenfalls kein wärmendes Feuer.